02.01.2018

Niedrigzinspolitik beenden

Reformen und mehr Investitionen sind nötig - Gastbeitrag von Rainer Brüderle

Lassen Sie mich direkt mit der Tür ins Haus fallen: Die „Politik des billigen Geldes“ durch die Europäische Zentralbank (EZB) muss ihr Ende finden. Die Niedrigzinspolitik sorgt für ein künstliches Klima, das auf Dauer nicht gut für unsere Volkswirtschaft insgesamt ist. Die deutsche Wirtschaft wirkt derzeit wie gedopt. Die Niedrig- oder Nullzinspolitik verstellt nämlich den Blick auf die Realitäten und Notwendigkeiten, was zu tun ist, damit unsere Volkswirtschaft zukunftsfest wird.

Die niedrigen Zinsen wiegen die Politik in Deutschland und Europa vermeintlich in Sicherheit. Die Wirtschaft wächst, Arbeitsplätze entstehen, bzw. sind ausreichend vorhanden, Steuereinnahmen sprudeln, Wohltaten, Förderungen und Subventionen können großzügig verteilt und Schulden günstig bedient werden. Ein Paradies für etatistische Wirtschafts-, Sozial- und Verteilungspolitiker.

Doch jede Medaille hat zwei Seiten. Und die enthält unter anderem den fehlenden Anreiz, insbesondere der hochverschuldeten Eurokrisenländer, den Schuldenabbau in ausreichendem Maße voranzutreiben. Verstärkt wird dieser Negativanreiz noch durch das Anleiheaufkaufprogramm der EZB. Diese Art der Geldpolitik setzt für die politischen Akteure – auf europäischer aber auch auf nationaler Ebene – die falschen Anreize.

Zukunftsaufgaben verlieren an Dringlichkeit

Aktuelle Ausgabenwünsche können leicht befriedigt werden. Zukunftsaufgaben wirken hingegen nicht so drängend. Investitionen in das schnelle Internet, Stärkung der Macht- und Wettbewerbskräfte oder mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, um den Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 gerechter zu werden, sind unbequeme Aufgaben, die warten können. Wohltaten heute lassen sich besser verkaufen als Fitnessprogramme für morgen.

Eigentlich müsste die Politik jetzt Reformen angehen. Sie müsste den immer noch zu hohen öffentlichen Schuldenberg beherzt abbauen, statt nur darauf zu verweisen, dass keine neuen Schulden hinzukommen. Sie müsste unsere sozialen Sicherungssysteme jetzt reformieren, statt die Beitragszahler ständig neue Leistungen finanzieren zu lassen. Und sie müsste gezielt in digitale und nicht-digitale Infrastruktur investieren, um die Wachstumsgrundlagen für morgen zu verbessern.

Der Zins ist ein entscheidender Steuerungsmechanismus in der Sozialen Marktwirtschaft. Er ist das Verbindungsstück zwischen Gegenwart und Zukunft – oder anders ausgedrückt, zwischen Konsum (heute) und Kapitalbildung (für morgen). Konsumenten und Investoren machen ihre Pläne von den kurzfristigen und langfristigen Zinserwartungen abhängig. Wird er nun künstlich niedrig gehalten, werden die Erwartungen und die daraus resultierenden Entscheidungen verzerrt.

Ja, es war nach der Finanz- und Staatsschuldenkrise 2008/2009 durchaus nachvollziehbar, dass die EZB die Zinsen gesenkt hat. Damit hat die Geldpolitik die Abwärtsbewegung der Krise abgefedert und die Konjunktur stabilisiert, indem sie ein investitionsfreundliches Umfeld geschaffen und durchaus auch den Konsolidierungsdruck im Bankensektor erhöht hat. Das kann vorübergehend auch akzeptiert werden. Allerdings wirkt das billige Geld als Dauerzustand mittlerweile als süßes Gift.

Durch die niedrigen Zinsen wird viel Geld in den Markt gepumpt und verzerrt damit einerseits Erwartungen der Wirtschaftsakteure. Andererseits werden Mittelschicht und Mittelstand schleichend beim Sparen und Versicherungssparen enteignet und ein übergroßes Investment durch billige Kredite in Immobilien („Betongold“), Anleihen oder gar Sammlerstücke wie Kunstwerke oder Oldtimer sorgt für eine gefährlich tickende Zeitbombe – zumindest in Teilen – in unserem Land.

Hinzu kommt: Ausgelastete Fabriken und Nachfrageüberschüsse z.B. auf den heimischen Bau- und Immobilienmärkten führen früher oder später zu steigenden Preisen. Und es ist und bleibt die Aufgabe der Geldpolitik und damit der Europäischen Zentralbank für Preisstabilität zu sorgen. Mit anderen Worten: Geldpolitik dient der Inflationsbekämpfung und nicht der Konjunktursteuerung.

Zinswende ist notwendig

Aktuell nähern sich die Preissteigerungen wieder der von der EZB vorgegebenen Zielmarke von zwei Prozent Inflation an – in Europa etwas langsamer als in Deutschland. In unserem Land liegen wir mit 1,8 bis 1,9 Prozent schon wieder bedrohlich nahe an der von der EZB gerade noch tolerierten Inflationsrate. Deflationsgefahren, wie sie mancher „interessierter“ Experte in den vergangenen Jahren immer mal wieder an die Wand gemalt hat, sind jedenfalls überhaupt nicht ersichtlich. Die Realzinsen sind insbesondere bei Festgeld- und anderen kurzfristigen Einlagen deutlich ins Negative umgeschlagen. Die EZB muss jetzt zeigen, dass sie ihre eigentliche Aufgabe als Inflationswächter noch ernst nimmt. Sonst geht bereits angeknackstes Vertrauen weiter verloren. Deshalb ist es überfällig, dass die EZB jetzt die Zinswende einleitet. Sie darf das nicht überstürzt tun, aber sie muss es überzeugend und klar tun.

Foto: Laurence Chaperon

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