26.11.2021

Erschließungsbeiträge: Nicht unbegrenzt zu erheben

Bundesverfassungsgericht kippt Bürger belastende Regelung

Selbst nach Jahrzehnten der Straßennutzung können Bürger in Rheinland-Pfalz überraschenderweise einen teuren Bescheid erhalten: Es werden Erschließungsbeiträge fällig. Nun hat das Bundesverfassungsgericht die zeitlich unbegrenzte Regelung für verfassungswidrig erklärt. Bedeutsam ist die Entscheidung wegen der flächendeckenden Einführung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge.

Manch ein Hausbesitzer nutzt seit Jahrzehnten wie selbstverständlich die vor seinem Grundstück verlaufende Straße, ohne zu wissen, dass sie offiziell noch gar nicht fertig ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Straße keine Widmung erfahren hat. Was zunächst wie eine formale Behördenangelegenheit klingt, kann für die Bürger teuer werden: Mit der Widmung fallen nämlich Erschließungsbeiträge an. Diese betragen in den meisten rheinland-pfälzischen Kommunen 90 Prozent der umlegbaren Straßenbaukosten.

Anfang November 2021 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass Erschließungsbeiträge nicht zeitlich unbegrenzt erhoben werden dürfen (Az. 1 BvL 1/19). Zwar verjährt die Beitragspflicht vier Jahre nach Entstehung des kommunalen Beitragsanspruchs, so das höchste deutsche Gericht. Aber der Beginn der Festsetzungsfrist knüpfe nicht an den Eintritt der Vorteilslage an, sondern sei von weiteren Voraussetzungen wie einer Widmung abhängig. Für diese sog. Festsetzungsverjährung besteht in Rheinland-Pfalz derzeit keine Frist, demnach wäre eine zeitlich unbegrenzte Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen möglich.

Keine Verjährungsfrist ist verfassungswidrig

Dass Grundeigentümer auch nach Jahrzehnten der tatsächlichen Nutzung ihrer Straße noch immer mit Erschließungsbeiträgen belastet werden könnten, verstößt gegen das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Dazu führt das BVerfG aus: „Der Zeitpunkt, in dem der abzugeltende Vorteil entsteht, muss daher für die Betroffenen unter Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizonts auch erkennbar sein. Der Begriff der Vorteilslage muss somit an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten anknüpfen und rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vor lassen.“

Bis zum 31. Juli 2022 hat das BVerfG dem Landesgesetzgeber Zeit gegeben, eine verfassungskonforme Regelung zu treffen. Direkte Folge des Beschlusses ist eine Anwendungssperre. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen die bestehenden Regelungen in relevanten Fällen nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen. Zudem muss die Rechtslage rückwirkend angepasst werden.

Bedeutsame Entscheidung wegen Straßenausbaubeiträgen

Erschließungsbeiträge dienen dazu, die erstmalige Herstellung einer Straße zu finanzieren. Sie rechtfertigen sich aus der Tatsache, dass nur ein durch eine Straße erschlossenes Grundstück bebaut werden darf. Darf ein Grundstück bebaut werden, steigt sein Wert immens. Somit steht dem Erschließungsbeitrag, anders als Straßenausbaubeiträgen, eine Wertsteigerung gegenüber.

In Zusammenhang mit der landesweit flächendeckenden Einführung von wiederkehrenden Straßenausbaubeiträgen (WKB) hat die BVerfG-Entscheidung besondere Bedeutung. Straßenausbaubeiträge dürfen nämlich nur für Grundstücke an gewidmeten Straßen erhoben werden. Während einmalige Ausbaubeiträge nur für die auszubauende Straßen erhoben werden, werden bei WKB „Abrechnungseinheiten“ aus mehreren zusammenhängenden Straßen gebildet. WKB können nur dann einigermaßen gerecht erhoben werden, wenn tatsächlich alle nutzbaren öffentlichen Straßen einer Abrechnungseinheit gewidmet sind. Im Rahmen der WKB-Umstellung ist somit verstärkt mit Widmungen schon lange genutzter Straßen zu rechnen.

Aktualisierung vom 11.05.2022: Der rheinland-pfälzische Landtag hat beschlossen, die Festsetzungsverjährung für kommunale Beiträge auf 20 Jahre zu begrenzen. Mehr dazu lesen Sie HIER.

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Unser Wirtschaftsmagazin „Der Steuerzahler“ informiert regelmäßig über aktuelle Themen, Steuertipps und Steuerurteile. Sparen Sie auch bares Geld mit unseren Ratgebern und Broschüren zu Steuerthemen sowie mit Rabatten aus dem BdSt-Sparerpaket. Informieren Sie sich HIER über die vielfältigen Vorteile einer Mitgliedschaft und treten Sie noch heute einer starken Gemeinschaft von Steuerzahlern bei.