28.10.2022

Unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch Finanzamt ist rechtswidrig

BFH: Zustimmung des Betroffenen heilt Grundrechtseingriff nicht

Eine selbstständige Unternehmensberaterin veranlagte zum ersten Mal in ihrer Einkommensteuererklärung ein häusliches Arbeitszimmer. Obwohl sie gegenüber ihrem Finanzamt mitwirkte, kam ein Steuerfahnder unangekündigt zur Wohnungsbesichtigung. Diese ist rechtswidrig, entschied der Bundesfinanzhof.

Für den Veranlagungszeitraum 2015 machte eine Unternehmensberaterin erstmalig Aufwendungen für ihr häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 567,12 Euro geltend. Auf Nachfrage des Finanzamts reichte ihr Steuerberater eine Grundriss-Skizze der betroffenen Wohnung ein. Auf dieser Skizze war ein Raum durch den handschriftlichen Vermerk „Arbeit“ gekennzeichnet, wobei der maschinenschriftliche Text „Schlafzimmer“ durchgestrichen war. Ein alternatives Schlafzimmer war auf der Skizze nicht vermerkt.

Der Sachbearbeiter des Finanzamts frug sich, wo stattdessen geschlafen werde. Zur Klärung des Sachverhalts bat er einen Steuerfahnder um eine Ortsbesichtigung. Diese fand im Mai 2017 unangekündigt statt. Gegenüber der Wohnungsbesitzerin wies sich der Steuerfahnder aus. Diese gewährte ihm widerspruchslos Einlass in die Wohnung. Der Beamte stellte fest, dass die Angaben der Steuerpflichtigen den Tatsachen entsprachen.

Gegen die Wohnungsbesichtigung legte die Unternehmensberaterin Einspruch ein, der als unzulässig verworfen wurde. Daraufhin klagte die Frau vor dem Finanzgericht Münster, das die Klage als unzulässig abwies. Gegen diese Entscheidung ging die Unternehmensberaterin in Revision. Vor dem Bundesfinanzhof (BFH) erhielt sie recht (Urteil vom 12.07.2022, Az. VIII R 8/19).

Finanzamt hat Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt

Der Bundesfinanzhof erkannte ein Feststellungsinteresse der klagenden Unternehmensberaterin an. Zwar ist die Unverletzlichkeit der Wohnung grundgesetzlich geschützt, aber die Klägerin ließ den Steuerfahnder freiwillig in die Wohnung. Deshalb liege kein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor, so der BFH. Doch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei verletzt. Ein milderes Mittel wie ein weiteres schriftliches Auskunftsersuchen oder eine angekündigte Ortsbesichtigung wären geeignetere, mildere Mittel gewesen.

Ferner erkannte der BFH auch deshalb einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeits-Grundsatz, weil die Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung, nicht durch einen Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde. Zwar merkte der Steuerfahnder an der Wohnungstür an, dass er nicht wegen einer Steuerstrafsache tätig sei. Dennoch könne durch Erscheinen eines Steuerfahnders das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen gegenüber (zufällig) anwesenden Dritten wie Besuchern oder Nachbarn gefährdet sein. Diese könnten den Eindruck bekommen, bei dem Steuerpflichtigen würde strafrechtlich ermittelt.

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