13.10.2017

Kommunale Verschuldung steigt weiter an

Wie Bund und Land helfen können

Ende Juli 2017 hatte das Statistische Landesamt eine gute und eine schlechte Nachricht zur Schuldenentwicklung in Rheinland-Pfalz. Die gute Nachricht: Das Land konnte 2016 seinen riesigen Schuldenberg um 0,9 Prozent auf 32,7 Mrd. Euro reduzieren. Die schlechte Nachricht: Die kommunale Gesamtverschuldung stieg zeitgleich um 0,9 Prozent auf 12,7 Mrd. Euro. Ist das nur ein Zufall oder saniert sich das Land auf Kosten seiner Kommunen?

Seit Jahren brechen die Steuereinnahmen beim Bund, Land und Kommunen Rekord um Rekord. Doch wenn der Staat seine Ausgaben nicht im Griff hat, steigen die Schuldenberge trotzdem weiter an. Das Land Rheinland-Pfalz ist solch ein Fall. Nur wenn die Steuereinnahmen noch besser ausfallen als es die Landesregierung ohnehin erwartet hat, wird ein Haushaltsüberschuss erzielt und der enorme Berg an Landesschulden etwas abgebaut. So war es im vergangenen Jahr. Wie das Statistische Landesamt im Juli 2017 mitteilte, sanken die Landesschulden im Jahr 2016 um 0,9 Prozent auf 32,7 Mrd. Euro. Hierbei handelt es sich um den deutlichsten Schuldenrückgang, den das Land Rheinland-Pfalz seit mehr als 50 Jahren verzeichnen konnte. Pro Rheinland-Pfälzer macht das nun 8.059 Euro an reinen Landesschulden. Gemessen am Schuldenstand vom Jahr 2006 entspricht das einer Steigerung um fast 29 Prozent.

Ganz anders sah es hierzulande für die Kommunen aus. Ihre Schuldenlast summierte sich bis Ende 2016 auf 12,7 Mrd. Euro, was verglichen zum Vorjahr einen Anstieg um 0,9 Prozent bedeutet. Der prozentuale Anstieg der Schulden erreichte damit etwa den gleichen Wert wie bereits im Jahr 2015. Im längerfristigen Vergleich zeigt sich dagegen, dass es sich um das geringste Schuldenwachstum seit dem Jahr 1998 handelt. Beispielsweise stiegen im Jahr 2014 die kommunalen Schulden um 5,1 Prozent bzw. absolut um 610 Mio. Euro. Bezogen auf das Jahr 2016 entfallen auf jeden Rheinland-Pfälzer 3.135 Euro an kommunalen Schulden. Verglichen zum Jahr 2006 entspricht dies einer Erhöhung um rund 60 Prozent. Sprich, die kommunalen Schulden sind im Zehnjahresvergleich doppelt so schnell gewachsen wie die Landesschulden.

Große Unterschiede bei den kommunalen Gebietskörperschaften

Bezogen auf die einzelnen kommunalen Gebietskörperschaften lassen sich unterschiedliche Entwicklungen feststellen. So erhöhten sich die Schulden der kreisfreien Städte nur um 0,1 Prozent auf rund 6,1 Mrd. Euro. Die rechnerische Pro-Kopf-Verschuldung lag bei 5.750 Euro. Dagegen stieg die Verschuldung in den Landkreisbereichen, d.h. der Kreis inklusive der zugehörigen Verbands- und Ortsgemeinden, um 1,7 Prozent auf 6,4 Mrd. Euro bzw. auf durchschnittlich 2.150 Euro je Einwohner.

Gleichfalls waren innerhalb der kreisfreien Städte und der Landkreisbereiche große Unterschiede zu beobachten. Bei den kreisfreien Städten wurden für Neustadt an der Weinstraße mit 1.830 Euro pro Einwohner die niedrigsten und für Pirmasens mit 9.980 Euro pro Einwohner die höchsten Schuldenquoten gemessen. Innerhalb der Landkreisbereiche wies der Rhein-Hunsrück-Kreis mit 570 Euro die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung auf, dagegen der Landkreisbereich Kusel mit 5.950 Euro pro Einwohner die Höchste.

Werden nur die Landkreishaushalte betrachtet, ergibt sich für 2016 eine Schuldenbelastung von plus 0,3 Prozent auf insgesamt 2,5 Mrd. Euro. Pro Kopf entspricht das einer Verschuldung von rund 840 Euro je Einwohner. Geradezu vorbildlich ist der komplett schuldenfreie Kreishaushalt des Landkreises Mainz-Bingen. Dagegen weist der Landkreis Kusel mit 2.550 Euro je Einwohner die höchste Verschuldung auf.

Liquiditätskredite werden zweckentfremdet

Kredit ist aber nicht gleich Kredit – prinzipiell können sich das Land und die Kommunen durch Investitionskredite, Liquiditätskredite und Wertpapierkredite verschulden. Während das Land überwiegend auf Wertpapierschulden setzt, nutzen die Kommunen seit Jahren sehr intensiv Liquiditätskredite. Hierbei handelt es sich um eine Art kommunaler Dispokredit, deren eigentlicher Zweck die kurzfristige Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit für laufende Ausgaben ist. Beispielsweise um stets pünktlich die Angestellten und Beamten bezahlen zu können. Idealerweise sollten die Liquiditätskredite die meiste Zeit des Jahres bei null Euro liegen. Nicht so in Rheinland-Pfalz – hierzulande werden sie mit Billigung des Landes längst im großen Stil zur mittel- bis langfristigen Finanzierung von Konsumausgaben zweckentfremdet, speziell der kommunalen Sozialausgaben. So können die Kommunen hierzulande Liquiditätskredite mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren aufnehmen!

Lag die gesamte Schuldenlast der Kommunen in 2016 bei 12,7 Mrd. Euro, entfielen davon laut dem Statistischen Landesamt 5,9 Mrd. Euro auf die Liquiditätskredite – also über 46 Prozent! Bei den kreisfreien Städten lag der Anteil der Liquiditätskredite bei 54 Prozent und im Landkreisbereich bei 41 Prozent. Zum Vergleich: Das Land Rheinland-Pfalz hatte zum Jahresende 2016 gar keine Liquiditätskredite mehr offen. Im Vorjahr lag deren Anteil an der Gesamtverschuldung auch nur bei etwa zwei Prozent. Insofern nutzt das Land das Instrument der Liquiditätskredite genauso, wie es gedacht ist.

Schlechtes Abschneiden im Bundesländer-Vergleich

Im Bundesländer-Vergleich schneiden das Land Rheinland-Pfalz schlecht und seine Kommunen sogar noch weit schlechter ab. Mit gerundeten Schulden von 8.100 Euro pro Einwohner belegt Rheinland-Pfalz im Ranking Platz 5. Schlimmer verschuldet sind das Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt – das Saarland als Schuldenmeister mit 14.300 Euro je Einwohner. Unter den Kommunen halten jene aus Rheinland-Pfalz mit gerundeten Schulden in Höhe von 3.200 Euro je Einwohner sogar Platz 2. Nur die saarländischen Kommunen sind mit 3.800 Euro pro Einwohner noch schlimmer verschuldet.

Die aufgezeigte Problematik der Liquiditätskredite gilt ferner nicht bundesweit. Neben den Kommunen in Rheinland-Pfalz sind nur jene in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen, Saarland und Sachsen-Anhalt besonders stark betroffen. Für andere Bundesländer stellt sich das Problem weit weniger. Das führt zu bemerkenswerten Ergebnissen. Beispielsweise hatte alleine die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz im Jahr 2016 mit 684 Mio. Euro mehr Liquiditätskredite angesammelt als alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen zusammen! Bezogen auf die Liquiditätskredite liegen sechs der zehn am schlimmsten verschuldeten deutschen Städten in Rheinland-Pfalz! Absoluter Spitzenreiter ist die Stadt Primasens mit etwa 8.000 Euro pro Einwohner.

Wie ist die extreme Verschuldung der Kommunen in Rheinland-Pfalz zu erklären? Ein Grund dafür ist sicher, dass die Kommunen hierzulande vergleichsweise wirtschaftsschwächer sind und ihre Steuereinnahmen daher weniger kräftig wachsen als in vielen anderen Bundesländern. Allerdings ist Rheinland-Pfalz nicht wirtschaftsschwächer als z.B. alle ostdeutschen Bundesländer. Tatsächlich lagen die Steuereinnahmen der rheinland-pfälzischen Kommunen im Jahr 2016 pro Kopf bei 1.025 Euro je Einwohner. Das ist nur etwas weniger  als der Durchschnitt aller Flächenländer in Höhe von 1.178 Euro je Einwohner.

Strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen als Problem

Der wesentlich wichtigere – wenn nicht gar der wichtigste – Grund für die Verschuldung ist, dass die Kommunen vielfältige Ausgaben in den Bereichen Soziales und Jugendhilfe tragen müssen, die sie aber nicht beschlossen haben. Die eigentlichen Urheber der sozialen Wohltaten und politischen Projekte sind der Bund und/oder das Land. Doch egal, ob es um die Kosten der Flüchtlingskrise, die des Anspruchs auf einen kostenlosen Kita-Platz oder die der Eingliederung von Behinderten geht – in vielen Fällen gibt es keine Vollkostenerstattung der kommunalen Ausgaben. Deshalb müssen die betroffenen Kommunen vielfach draufzahlen und sind meist finanziell überfordert.

Wie hoch die summierte Netto-Belastung aus den kommunalen Sozialausgaben ist, können nicht einmal die jeweiligen kommunalen Spitzenverbände sicher sagen. Denn dazu ist das Geflecht der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu kompliziert. Lohnender ist da ein Blick in die einzelnen Haushaltspläne. Beispielsweise plant die Landeshauptstadt Mainz in 2017 mit einem Jahresfehlbetrag von etwa 35 Mio. Euro. Größter Ausgabenblock im Haushalt sind die Ausgaben zur sozialen Sicherung in Höhe von über 255 Mio. Euro (ca. 37 Prozent). Davon muss die Stadt nach eigenen Angaben mehr als 155 Mio. Euro selber tragen. Hätte Mainz dieses Geld wären zusätzliche Schulden also gar nicht nötig. Mehr noch: Die summierte Unterdeckung bei den sozialen Leistungen von 2009 bis 2017 entspricht in etwa der Gesamtverschuldung von Mainz in Höhe von rund 1,2 Mrd. Euro. Ginge es alleine nach diesen Zahlen, wurde Mainz vom Bund und vom Land Rheinland-Pfalz in die Verschuldung getrieben.

Natürlich ist das Problem der unzureichend erstatteten Sozialausgaben nicht nur in Rheinland-Pfalz anzutreffen. Allerdings können die Kommunen wirtschaftsstarker Bundesländer diesen Systemfehler mit ihren überdurchschnittlichen Steuereinnahmen besser kompensieren, so dass im Ergebnis dann weniger neue Schulden nötig sind. Die Kommunen in den ostdeutschen Bundesländern erhalten zur Kompensation ihrer Steuerschwäche hingegen höhere allgemeine Zuweisungen von ihren Ländern. So lag der ostdeutsche Durchschnitt im Jahr 2016 bei 748 Euro je Einwohner, in Rheinland-Pfalz gab es dagegen nur 494 Euro je Einwohner. Ferner ist dies im Bundesländer-Vergleich der zweitniedrigste Wert nach Bayern – nur dass die tendenziell wohlhabenden bayerischen Kommunen weniger auf Finanzspritzen ihres Landes angewiesen sind. Insofern ist die kommunale Zweckentfremdung der Liquiditätskredite bei ungünstigen Konstellationen wie in Rheinland-Pfalz geradezu zwangsläufig. Die Summe der Liquiditätskredite wird damit zu einem guten Indikator für das Ausmaß der bisherigen Unterfinanzierung der Kommunen.

Strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzip als Lösung

Wer bestellt, der bezahlt – so lässt sich der Grundgedanke des Konnexitätsprinzip in aller Kürze zusammenfassen. Wenn der Bund und/oder das Land Rheinland-Pfalz den Kommunen hierzulande Aufgaben überträgt, sollte ein voller Kostenausgleich gewährt werden. Das wäre nicht nur fair und gerecht zugleich, sondern würde auch gegen eine ausufernde Sozialgesetzgebung helfen. Denn wer selbst den vollen Preis für soziale Wohltaten bezahlen muss, überlegt es sich gründlicher, als wenn er die Kosten dafür zumindest teilweise abwälzen kann.

Vom Prinzip her bekennt sich das Land Rheinland-Pfalz zum Konnexitätsprinzip. Im Jahr 2004 kam es zu dessen Aufnahme in die Landesverfassung und seit 2006 gilt das dazugehörige Konnexitätsausführungsgesetz. In der Praxis ist das Gesetz aber sehr löchrig. Wenn es um europa- oder bundesrechtliche Regelungen geht, kann sich das Land einen schlanken Fuß machen. Außerdem findet das Gesetz keine Anwendung auf den Bestand an kommunalen Aufgaben und Finanzierungspflichten, die es im Juni 2004 bereits gab. Dass sich das Land z.B. nicht in die volle Haftung für die Flüchtlingskosten nehmen lassen will, ist an sich verständlich. Hierbei hat Rheinland-Pfalz ebenso wenig volle politische Handlungsfreiheit wie seine Kommunen. Allerdings sollten die Ausnahmen für die landeseigenen „Altlasten“ gestrichen werden. Wenn das Land den Kommunen in eigener Entscheidung Aufgaben auferlegt hat, sollte es immer einen vollen Kostenausgleich leisten. Ganz egal, wann die Gesetze dafür beschlossen wurden.

Den Bund zu einer strikten Einhaltung des Konnexitätsprinzips gegenüber den Kommunen zu verpflichten, ist politisch weit schwieriger. Derzeit gibt es zwischen dem Bund und den Kommunen kein rechtlich abgesichertes Konnexitätsprinzip. Indirekt lässt sich das nur aus der grundgesetzlichen Verpflichtung des Bundes zur Erstattung von Landesausgaben für übertragene Aufgaben ableiten – denn die Kommunen sind Bestandteil der Länder. Doch wie die Praxis der vergangenen Jahre leidlich gezeigt hat, reichen indirekte Ableitungen aus dem Grundgesetz nicht aus. Dabei ist die Gelegenheit für Reformen überaus günstig. Dank der überragenden Entwicklung der Steuereinnahmen quellen die Bundeskassen vor Geld geradezu über und die Einhaltung der Schuldenbremse ist jedenfalls aufseiten des Bundes keine finanzpolitische Herausforderung mehr. Doch anstatt immerzu neue soziale Wohltaten zu verabschieden, sollte der Bund besser die Finanzierung der vorhandenen Sozialausgaben auf den Prüfstand stellen und die strikte Anwendung des Konnexitätsprinzips zu seiner Handlungsmaxime machen.

Sparen bleibt Daueraufgabe

Doch um nicht falsch verstanden zu werden: Die strukturelle Unterfinanzierung durch Bund und Land darf natürlich keine Entschuldigung für die Kommunen sein, eigene Anstrengungen zu unterlassen. Wo immer sinnvoll gespart und kosteneffizienter gearbeitet werden kann, sollten die Möglichkeiten dafür genutzt werden. Gerade der Steuerzahlerbund gibt hierzu immer wieder gerne Anregungen und Hilfestellungen. Allerdings wird sich die Finanzkrise der Kommunen ohne Reformen bei den Sozial- und Jugendhilfeausgaben nicht lösen lassen – jedenfalls in Rheinland-Pfalz nicht.

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