20.07.2016

Aktivieren statt konservieren!

Warum eine Mittelrheinbrücke Sinn macht

Gastbeitrag von Manfred Sattler

Die Einwohnerzahlen in den Gemeinden am Mittelrhein sinken, vielerorts schwindet die Zahl der Arbeitsplätze. Junge und gut qualifizierte Menschen verlassen die Region. Diesen Tatsachen können wir uns nicht verschließen. Ebenso wie der Tatsache, dass der Rhein als natürliche Grenze diese Entwicklungen weiter verstärkt.

Der Zusammenhang ist schnell erklärt, mit vermeintlich einfachen Dingen: Auf der rechten Rheinseite wohnen und problemlos auf der linken Rheinseite arbeiten – in der Realität ist das nicht einfach. Weil die beiden Seiten rechts und links des Rheins eben keine gemeinsame Region bilden, Welterbetitel der Region hin oder her.

Es gehen kaum Schüler der einen Rheinseite auf der anderen Seite zur Schule. Auszubildende können ihren Wunsch-Ausbildungsplatz nicht antreten, weil ein Schichtbetrieb nicht zu den Fährzeiten am Mittelrhein passt. Es pendeln mehr Arbeitnehmer aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis über Mainz nach Südhessen als in den benachbarten Rhein-Lahn-Kreis. Touristen kommen abends, nach einem Ausflug, nicht mehr ohne großen Umweg zurück auf die andere Rheinseite. Unternehmen werden bei Transport und Aufträgen behindert.

Das Mittelrheintal braucht eine Brücke. So klar und einfach ist die Situation. Und eine sehr deutliche Mehrheit im Tal will sie auch. Kritiker mögen jetzt alle Umfragen in Zweifel ziehen, die die breite Zustimmung der Menschen am Mittelrhein für den Bau einer Brücke dokumentieren; sie wären nicht ausreichend neutral, nicht ausreichend repräsentativ oder gleich beides.

Region nicht zukunftsfähig

Tatsächlich werden aber auch Kritiker des Baus einer Mittelrheinbrücke feststellen müssen: Zukunftsfähig ist die Region in ihrer heutigen Verfassung nicht. Die mit dem UNESCO-Welterbetitel ausgezeichnete Kulturlandschaft hat neben ihrem kulturellen Reichtum auch mit einer Vielzahl gravierender Probleme in ihrer wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung zu kämpfen. Die Probleme liegen natürlich in mehreren Faktoren begründet; der Bahnlärm oder der immer noch unzureichende Breitbandausbau sind da nur zwei weitere Facetten.

Nüchtern betrachtet hat die Region als Wirtschafts- und Lebensraum nur dann eine Perspektive, wenn sie durch eine dauerhafte Querung auch tatsächlich verbunden wird. Anders als in städtischen Regionen braucht es im ländlichen Raum – und das ist das Mittelrheintal nun einmal – die Möglichkeit echter individueller Mobilität und die Schaffung von Einzugsbereichen oberhalb einer kritischen Größe. Das allein wird sicherlich nicht reichen, um die Region zukunftsfähig zu machen, ist aber in jedem Fall zwingend notwendig.

Von der Gegenseite werden regelmäßig drei Argumente gegen die Brücke vorgebracht. Erstens: Die Mittelrheinbrücke gefährde den Welterbestatus der Region und folglich ihr touristisches Fundament. Dabei wird gerne auf die Erfahrungen der Stadt Dresden beim Bau der Waldschlößchenbrücke verwiesen.

UNESCO einbinden
Tatsächlich ist seit Jahren klar, dass eine Realisierung der Mittelrheinbrücke nur in enger Abstimmung mit dem Welterbekomitee der UNESCO erfolgen würde. Es war seinerzeit sogar die UNESCO selbst, die die Ausarbeitung eines „Masterplans zur Darlegung einer Vision“ für das Mittelrheintal gefordert hatte, „die mit dieser neuen Brücke verbunden werden könnte“. Das Mittelrheintal darf trotz Welterbetitel doch keine „Käseglocke“ sein, unter der sich nichts mehr verändern kann; statt einer Museumslandschaft muss es eine lebendige und zukunftsfähige Kulturlandschaft sein – zu der eben auch eine adäquate Infrastruktur gehört.

Zweitens: Die Mittelrheinbrücke bedeute das Aus der insbesondere für den Tourismus wichtigen Fährbetriebe und würde die individuelle Mobilität derer einschränken, die bislang die Fähren genutzt haben. Ein Blick an die Mosel zeigt, dass Brücken und touristisch genutzte Fähren in keinem Widerspruch stehen. Auf 84 Kilometern gibt es dort trotz elf Brücken auch vier Fähren. Natürlich mag bei Realisierung der Mittelrheinbrücke infrage stehen, wo genau Fährstandorte am sinnvollsten sind. Ihr vermeintliches „Aussterben“ aber als Totschlagargument in der Diskussion um die Zukunftsperspektiven einer ganzen Region zu gebrauchen, ist unredlich.

Drittens: Die Mittelrheinbrücke sei mit dem prognostizieren Verkehrsaufkommen unrentabel; das Projekt insgesamt zu teuer. Die Mittelrheinbrücke wird ein finanzieller Kraftakt, ja. Zumal gegenwärtig auch noch nicht klar ist, welchen Teil der Kosten das Land, die Kreise und gegebenenfalls die Kommunen tragen sollen. Wahr ist aber auch: Seit 2000 wurden durch den Bund, die EU und die Länder Rheinland-Pfalz und Hessen in der Welterberegion weit mehr als 500 Millionen Euro an Fördermitteln (!) ausgegeben – für Städtebau, Flurbereinigung, Lärmschutz und Tourismus.

Kosten nicht alleine betrachten
Keine Frage, es waren viele sinnvolle und notwendige Projekte. Allein: Sie haben keine Trendwende in der regionalen Entwicklung bewirkt. Ihren tatsächlichen Wert werden diese Investitionen nur haben, wenn die Region durch eine verbesserte verkehrliche Erschließung attraktiver wird. Wer die Mittelrheinbrücke an den Kosten scheitern lassen will, verkennt, welches Aktivierungspotenzial mit ihr verbunden ist – und sollte dann ehrlicherweise auch weitere Investitionen in der Region infrage stellen!

Wir als Industrie- und Handelskammer begrüßen es ausdrücklich, dass die neue Landesregierung das Projekt nun wieder auf die Agenda gesetzt hat. Seit mehr als 15 Jahren setzen wir uns nun schon für die Brücke ein. Und wir möchten als Interessenvertreter der Betriebe im Mittelrheintal nicht weiter zusehen müssen, wie die Region den Anschluss verliert, weil die Verkehrsinfrastruktur im vorigen Jahrhundert stehengeblieben ist. Wer nachhaltig und in die Zukunft gerichtet aktivieren will, muss Grenzen überwinden.

Manfred Sattler
Präsident der IHK Koblenz

Fotos: Manfred Sattler, Fotolia/dp@pic

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