10.08.2023

Wenn Kommunalpolitiker genug haben

Freisbach protestiert mit Massenrücktritt

Die Ortsgemeinde Freisbach im Landkreis Germersheim dürfte bis August 2023 selbst in Rheinland-Pfalz eher unbekannt gewesen sein. Doch mit dem paukenschlagartigen Rücktritt des Bürgermeisters und des gesamten Gemeinderates aus Protest gegen die Kommunalpolitik der Landesregierung änderte sich das – plötzlich wurde landesweit über Freisbach gesprochen. Denn eigentlich sind die Freisbacher Verhältnisse in vielen Kommunen zu finden.

Es klingt zuerst einmal unspektakulär: Aufgrund des neuen Landesfinanzausgleichsgesetzes, welches die Finanzbeziehungen zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und den Kommunen regelt, und der zeitgleich erfolgten Neuausrichtung der Kommunalaufsicht durch das Land, erhält die Ortsgemeinde Freisbach keine Haushaltsgenehmigung. Denn im umstrittenen Doppelhaushalt 2023/2024 beträgt das zu erwartende Defizit in 2023 rund 640.000 Euro und in 2024 etwa 615.000 Euro.

Für die Kommunalaufsicht ist die Forderung klar: Erhöht eure Steuern oder senkt eure Ausgaben. Allerdings sind im Freisbacher Haushalt nur Ansätze für Pflichtaufgaben und keinerlei Ansätze für freiwillige Leistungen vorgesehen. Die kann sich die Ortsgemeinde ohnehin nicht mehr leisten. Doch selbst eine aus Sicht des Innenministeriums rechtlich mögliche Erhöhung des Hebesatzes für die Grundsteuer B auf astronomische 995 Prozentpunkte würde zu keinem Haushaltsausgleich führen.

Der parteilose Bürgermeister Peter Gauweiler bringt das finanzielle Problem von Freisbach sogar weit kürzer auf den Punkt: „Wir haben 1,2 Mio. Euro Einnahmen, rund eine Mio. Euro geht als Umlage an den Kreis. Aber alleine der Kindergarten kostet uns im Jahr 380.000 Euro. Wie wollen wir da einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen?“

Doch die Kommunalaufsicht bleibt stur, die Ampel-Landesregierung zuckt die Schultern und die mit einer ausweglosen finanziellen Situation konfrontierten Kommunalpolitiker treten am 8. August 2023 geschlossen zurück. Denn sie sehen keine Möglichkeit mehr, ihre ehrenamtliche Tätigkeit zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unter diesen finanziellen Auflagen und Vorgaben weiter auszuüben. Wie es in der Ortsgemeinde weitergehen wird, ist ungewiss.

Die Reaktionen waren vielfältig: Innenminister Ebling sieht für die Ampel-Regierung wenig Grund zur Selbstkritik – er verwies auf das erhöhte Volumen des Finanzausgleichs und das kommunale Entschuldungsprogramm, welches finanzielle Handlungsspielräume eröffnen soll. Allerdings hält Ebling daran fest, dass die Hebesätze für die Grundsteuer und Gewerbesteuer in Rheinland-Pfalz steigen müssten. Anders der Städte- und Gemeindebund, welcher sein Verständnis für den Freisbacher Massenrücktritt aussprach. Die Kommunen bräuchten eine deutlich bessere Finanzsituation. Von den über 2.200 Ortsgemeinden könnten rund 1.000 Gemeinden trotz Steuererhöhungen keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Die Oppositionsfraktionen CDU und Freie Wähler befürchten wiederum vor dem Hintergrund der Kommunalwahl 2024, inwieweit sich noch ehrenamtliche Politiker finden lassen, wenn sie von der Landesregierung so im Stich gelassen werden wie in Freisbach.

BdSt-Fazit:

Einen geschlossenen Rücktritt von Bürgermeister und Gemeinderat aus Protest gegen die Landespolitik ist in Rheinland-Pfalz ein Novum. Was in Freisbach passiert ist, sollte die Ampel-Landesregierung dringend als Weckruf verstehen. Wenn angesichts drastischer finanzieller Not wie in Freisbach die kommunale Selbstverwaltung zur simulierten Demokratie degeneriert und gewählte ehrenamtliche Kommunalpolitiker letztlich nur noch als Statisten für die Kommunalaufsicht auftreten, ist der Rücktritt die ehrliche Konsequenz. Angesichts der langjährigen Unterfinanzierung der Kommunen durch verfassungswidrige Finanzausgleiche und dem aktuellen massiven Druck des Landes auf die Kommunen, ihre Hebesätze zu erhöhen, wird Freisbach sicher kein Einzelfall bleiben. Es rumort in Rheinland-Pfalz.

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