07.04.2017

Hat die Grundsteuer noch eine Zukunft?

Ein Reformvorschlag für weniger Steuerbürokratie

Die Grundsteuer hat sich seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als stetig wachsende und verlässliche Finanzquelle für die Kommunen erwiesen. Auch wenn es immer wieder zu Hebesatzerhöhungen gekommen ist, so haben doch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung und die zunehmende Zahl der Veranlagungsfälle sowie deren tendenziell steigender Wert bei Zurechnungsfortschreibungen und Artfortschreibungen das Aufkommen der Grundsteuer wesentlich geprägt.

Die Kommunen nehmen aktuell etwa 13 Mrd. Euro pro Jahr ein und erzielen damit einen Beitrag zu ihrem Steueraufkommen von rund 14 Prozent. Diese Finanzquelle ist im Übrigen die größte eigenständige Einnahme der Kommunen, die sie nicht – wie z.B. bei der Gewerbesteuer – mit anderen Gebietskörperschaften zu teilen haben und über die sie im Rahmen der Hebesatzfestsetzung selbständig entscheiden können. Die Aufkommensentwicklung der Grundsteuer wird gleichwohl dadurch begrenzt, dass die Einheitswerte der Grundstücke aus den Jahren 1964 bzw. 1935 stammen und bis heute auch bei der Wertermittlung von neuen Veranlagungsfällen unverändert der Steuererhebung zugrunde liegen.

Im Verdacht der Verfassungswidrigkeit

Der Bundesfinanzhof hat in einer Entscheidung vom 22. Oktober 2014 festgehalten, dass er „die Einheitsbewertung (spätestens) ab dem Bewertungsstichtag 1. Januar 2009 für verfassungswidrig [hält], weil die Maßgeblichkeit der Wertverhältnisse …vom 1. Januar 1964 zu Folgen führt, die mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr vereinbar sind.“

Als Hauptursachen für die beklagten Wertverzerrungen sieht der Bundesfinanzhof zum einen die Nichtberücksichtigung der allgemeinen Wertänderungen. Zum anderen werden Ausstattungsmerkmale, die sich seit 1994 bei neueren, aber auch älteren Wohnungen erheblich geändert haben, unberücksichtigt gelassen. Darüber hinaus hat sich die Struktur (Art und Größe von Wohnungen) am Wohnungsmarkt geändert. Schließlich finden Wertminderungen bei älteren Wohnungen keine Berücksichtigung über Abschreibungen. Der Bundesfinanzhof plädiert zusammenfassend für eine erneute Hauptfeststellung, um die Wertverzerrungen und die Verletzung des Gleichheitssatzes zu beheben.

Finanzwissenschaftliche Sicht der Grundsteuer

Die Grundsteuer steht nicht nur im Konflikt mit der grundgesetzlichen Rechtsordnung, sie ist seit vielen Jahren auch von finanzwissenschaftlicher Seite in der Diskussion. Sie scheint prima facie keinen hinreichenden Bezug zu dem vielfach für Steuererhebungen entscheidenden Leistungsfähigkeitsprinzip zu haben. Sie besitzt vielmehr vorrangig den Charakter einer Kopfsteuer und wird damit begründet, dass sie alle Einwohner einer Gemeinde äquivalent an der Finanzierung der kommunalen Leistungen beteiligen will. Betrachtet man die Grundsteuer als Einwohnersteuer, liegt es durchaus nahe, sie als Bestandteil der kommunalen Finanzautonomie zu sehen und für sie ein kommunales Hebesatzrechts zu fordern.

Der Bezug zum Leistungsfähigkeitsprinzip fehlt der Grundsteuer aber nicht völlig, wird jedoch nur indirekt erkennbar und ist keineswegs einheitlich bei allen Veranlagungsfällen deutlich. Die Grundsteuer ist insoweit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip verknüpft als in der Regel größere und teurere selbstgenutzte und gemietete Wohnungen oder Grundstücke auch mit einem höheren Einheitswert einhergehen und damit (bei gleichem Hebesatz innerhalb einer Gemeinde) zu einer höheren Grundsteuerschuld führen. Mit dem Wert des Grundstücks steigen daher auch die Zahlungen, die aus dem Einkommen des Grundstückseigentümers, aber auch des Mieters zu finanzieren sind.

Probleme bei der Vermögensbewertung

Die vom Bundesfinanzhof angesprochenen Wertverzerrungen bei den Grundstücken sind nun keinesfalls auf die Sachverhalte für die Grundsteuererhebung beschränkt. Vielmehr ist jede Vermögensbewertung davon betroffen und daher unter Gleichheitsaspekten problematisch.  Die üblichen Hilfskonstruktionen des Sachwertverfahrens oder des Ertragswertverfahrens führen dabei nicht notwendigerweise zum gleichen Resultat. Auch der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats, eine Summe aus Boden- und Gebäudewert als Ersatz für die veralteten Einheitswerte anzusetzen, entbindet nicht von der Herkulesaufgabe, Bewertungen für viele Millionen von Objekten vergleichbar und bei einer Hauptfeststellung gleichzeitig vorzunehmen. Es bleibt auch unklar, ob die differierenden inhaltlichen oder ökonomischen Qualitäten der Vermögensgegenstände hinreichend erfassbar sein werden. In jedem Fall werden solche Wertänderungen, wie sie der Bundesfinanzhof beschreibt, über die Zeit hin für die Grundstücke weder linear noch oben wie nach unten und damit nicht gleichartig erfolgen.

Bei der Grundsteuer potenziert sich die Bewertungsproblematik, weil bei einer neuen Hauptfeststellung nicht nur wenige Grundstücke für wirtschaftlich gleichgelagerte Fälle oder ähnliche wirtschaftliche Gegebenheiten neu zu bewerten sind, sondern vielmehr wären für 35 Millionen Veranlagungsfälle Wertfortschreibungen vorzunehmen. Für Grundstücke sieht § 21 des Bewertungsgesetzes alle sechs Jahre eine neue Hauptfeststellung vor. Wenn also dem Petitum des Bundesfinanzhofes nach einer Hauptfeststellung in den nächsten Jahren gefolgt würde, dann wäre dieser Prozess auch periodisch weiterzuführen, denn nach Ablauf weniger Jahre werden sich wiederum Umbewertungen und Wertverzerrungen ergeben, die dann erneut korrigiert werden müssten. Dieses Procedere würde nicht nur erhebliche Ressourcen beanspruchen, sondern mit Sicherheit auch zu zahllosen Rechtsstreitigkeiten führen.

Was planen die Bundesländer?

Die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Einheitswerte und damit der Besteuerung der Grundstücke ist den Bundesländern bekannt. Sie wollen der Problematik in zweierlei Hinsicht begegnen. Bei der Neubewertung reichen die Vorschläge  von einer ausschließlichen Bewertung des Bodens, bis hin zu einem Aggregat aus Bodenrichtwerten und Kostenwerten für das Gebäude. Die Länder wissen allerdings, dass jede Neubewertung der Grundstücke im Durchschnitt zu – zum Teil viel – höheren Einheitswerten (bis zum Zehnfachen gegenüber heute) führen würden. Dem soll durch eine Absenkung der Messzahlen – eventuell je nach Bundesland in unterschiedlicher Höhe – begegnet werden. Zudem wären die Hebesätze der Kommunen anzupassen, so dass das Ziel der Aufkommensneutralität erreicht werden könnte.

Allerdings ist dies deshalb vermessen, weil dem der Wunsch der Kommunen nach höheren Einnahmen entgegensteht und außerdem die  Entscheidung über den Hebesatz als zentral für die kommunale Selbstverwaltung angeführt werden würde. Die Aufkommensneutralität gilt ferner in keinem Fall für einzelne Grundstücke, die durch eine Neubewertung einen viel höheren oder viel geringeren Wert erhielten. Die Belastung der Grundstückbesitzer und der Mieter würde sich tatsächlich und in der Regel ändern – teils sogar sehr erheblich.

Benötigen die Kommunen überhaupt die Grundsteuer?

Sind die Kommunen für ihre Finanzwirtschaft überhaupt auf die Grundsteuer angewiesen? Diese Frage kann meiner Auffassung nach deutlich mit Nein beantwortet werden. Bereits heute erhalten die Kommunen Anteile aus der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer. Diese Anteile, die sich zusammen auf über 43 Prozent der Steuereinnahmen der Kommunen belaufen, wären leicht auszuweiten. Berücksichtigt man noch die Zuweisungen, welche den Gemeinden von den Ländern zufließen, gelangt man zu Anteilswerten gemessen z.B. am Verwaltungshaushalt, die weit mehr als 50-60 Prozent ausmachen.

Die Kommunen werden also seit langem vornehmlich über Finanzströme von den Ländern und den Gemeinschaftssteuern finanziert. Die Grundsteuer macht am Verwaltungshaushalt etwa sechs Prozent aus. Sie kann daher keinesfalls als faktisch unumgänglich für die Selbstverwaltung der Kommunen angeführt werden. Die Grundsteuer könnte also insgesamt abgeschafft werden. Die Beschäftigungsprogramme für die staatlichen Finanzverwaltungen und die kommunalen Steuerverwaltungen für die Ermittlung neuer Einheitswerte und die Betreuung von Tausenden von Rechtsstreitigkeiten sind nicht erforderlich und volkwirtschaftlich kontraproduktiv.

Gibt es einen vertretbaren Ersatz für die Grundsteuer?

Änderungen von Steuern begegnen in der Öffentlichkeit nicht nur großer Aufmerksamkeit, sondern vielfach auch großer Skepsis – selbst wenn Steuern reduziert oder abgeschafft werden sollen. Auch die Grundsteuer hat teils problematische Verteilungswirkungen für die davon betroffenen Haushalte. Sie wirkt zum einen wie eine Wohnungs- oder Kopfsteuer, die weitgehend unabhängig von den subjektiven Einkommensverhältnissen der Wohnungseigentümer und der Mieter erhoben wird. Die finanzielle Leistungsfähigkeit bleibt damit im unmittelbaren Grundsteuererhebungsverfahren unberücksichtigt.

Die Verteilungswirkungen der Grundsteuer lassen sich jedoch teilweise mit einer geringen Anhebung des Umsatzsteuersatzes beispielsweise auf 20 Prozent beim Regelsatz, aber auch durch eine geringe Anhebung beim ermäßigten Satz erreichen. Eine solche Erhöhung würde allenfalls der Dimension der aktuellen Grundsteuerbelastung eines Mieters entsprechen. Ergänzend wären daneben die Verteilungswirkungen zu berücksichtigen, die für die Eigentümer und Mieter größerer Wohnungen oder Häuser bestehen. Denn ihre Grundsteuerschuld wächst mit dem Einheitswert. Eine entsprechend anwachsende Belastung ergäbe sich durch eine Anhebung des Einkommensteuertarifs, vorzugsweise in der ersten Proportionalzone, d.h. der gegenwärtige Grenzsteuersatz von 42 Prozent wäre auf beispielsweise 43 Prozent anzuheben. Mit diesen beiden Anhebungen bei der Umsatz- sowie der Einkommensteuer ließen sich die heutigen Verteilungswirkungen der Grundsteuer annähern. Es käme diesen Vorschlägen entgegen, wenn gleichzeitig der Solidaritätszuschlag endlich abgeschafft werden würde.

Erforderliche Ausgleichsregelungen

Die nach diesem Vorschlag erzielbaren Mehreinnahmen aus der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer ließen sich über eine Erhöhung der Beteiligungssätze der Gemeinden an den Gemeinschaftssteuern weiterleiten. Es läge an den jeweiligen Bundesländern, die Details festzulegen und sicherzustellen, dass der Ausfall an Grundsteuereinnahmen bei den Gemeinden tatsächlich kompensiert wird.

Die Grundsteuer ist eine besonders alte Realsteuer. Realsteuern waren vor Hunderten von Jahren für die Staatsfinanzierung erforderlich, weil die heutigen Steuerobjekte Einkommen und Umsätze noch gar nicht zu ermitteln waren. Sie passen daher nicht mehr in unsere Zeit. In unserer heutigen modernen Volkswirtschaft sind Einkommen und Umsätze gut feststellbar und für steuerliche Zwecke mit jeweils aktuellen Werten heranzuziehen. Eine weitere Beteiligung der Gemeinden an diesen Wertsteuern würde sie nicht nur vor der kaum sinnvoll zu bewältigenden Bewertungsproblematik verschonen, sondern sie auch an dynamisch wachsenden Steuerquellen beteiligen.

 

Prof. Gerhard Graf

Vizepräsident des BdSt Rheinland-Pfalz

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